Es war Bergliebe auf den ersten Blick! Gerade mal drei Wochen ist es her, dass wir uns zum ersten Mal begegnet sind und schon wieder stehen wir hier mit klopfendem Herzen. Es ist 6 Uhr morgens. Der vordere Gosau See liegt einladend ruhig da und nimmt das Spiegelbild der großen Felswände, die ihn flankieren und der Dachstein-Arena ruhig in sich auf. Es fühlt sich vertraut an.
Anders ist nur, dass wir zu dritt sind. Nachdem wir unserer Freundin Andrea von unserem ersten Ausflug ins Dachstein-Salzkammergut so vorgeschwärmt hatten, haben wir kurzerhand beschlossen, die geplante Stubai-Tour hierher zu verlegen. Unser erstes Kennenlernen durch die Aktion ‚Wandern-mit-Biss' war ein Schnupperkurs bei dem auch die Gourmetseiten dieser fantastischen Region nicht zu kurz kommen durften. Dieses Mal sollten Berge und Fels im Mittelpunkt des Genießens stehen.
Wie vor ein paar Wochen liegt einer Mörderhitze über weiten Teile Europas. Uns so starten wir den Aufstieg ebenfalls in der frühen Morgenstunde. Das weiche Morgenlicht und die Stille entschädigen für den frühen Start. Nach nur 5 ½ Stunden Aufstieg erreichen wir die Adamekhütte. Die Sonne hat in den letzten Wochen alle Schneefelder weggefressen, zudem steht sie etwas tiefer und der Aufstieg liegt länger im Schatten. Das merken wir im Tempo, obwohl die Rucksäcke um einiges schwerer sind als bei der letzten Tour, da wir dieses Mal vier Tage unterwegs sein werden. Gemütlich kommen wir auf der Hütte an und es ist ein vertrautes Hallo mit Hans Gapp und den Bergen. Den restlichen Tag tun wir nichts. „I'm here. My mind is here" ist das Motto für Heute - und sich an der grandiosen Dachstein-Kulisse mit den imposanten Felswänden des Hohen Dachsteins, der Mitterspitze, des Torsteins und der Schneebergwand genussvoll satt zu sehen. Auch so kann ein Tag vergehen. Nichtstun gefällt uns. Tempo raus. Ankommen. Genießen. Die Hütte ist so einladend – da geht das von ganz allein. Wir fiebern ohnehin dem nächsten Tag entgegen, denn er wird uns über den Gosau Gletscher und den Westgrat hinauf auf den Gipfel des Hohen Dachstein führen. Den krönenden Abschluss dieses ersten Tages macht ein Sonnenuntergang, der jeder Fototapete Konkurrenz macht.
Keine Eile am nächsten Morgen. Das Wetter ist auf unserer Seite und verspricht den ganzen Tag lang in bester Gletscher- und Gipfellaune zu sein. Gegen 8 Uhr starten wir. Sonnenschutzfaktor 50 im Gesicht. Hans Gapp nimmt uns erfahren ans Seil und führt uns mit interessanten Erklärungen zur Gletschergeschichte sicher über das spaltenreiche Eis. Steigeisen und Pickel haben wir von ihm ausgeliehen. Ein großer Vorteil, so müssen wir das gesamte Equipment und damit 2 Kg extra Gewicht nicht die gesamten vier Tage mit uns rumschleppen. Mit dem gewohnten kratzenden Geräusch der Steigeisen, wenn sie sich ins Eis fressen, geht's dahin und nach gut 2 Stunden erreichen wir nach einem kurzen, knackigen 30° steilen Anstieg den Westgrat. Weg mit den Steigeisen und die Kletterhandschuhe ausgepackt. Auf der anderen Seite grüßt die Steiermark. Zwischen dem Salzkammergut und der Steiermark herrscht eine einige Uneinigkeit darüber, wo der Dachstein als Grenzberg denn nun schöner ist. Wo die Steirer behaupten, das schönste am Dachstein sei der Blick in die Steiermark, sagt die Gegenseite, das Beste ist, dass man in die Steiermark pinkeln kann. Jedem das seine. Wir wählen die Aussicht-Variante. Uns gefällt es hier oben ausgesprochen gut. Und das liegt vor allem an der lässigen Kraxelei über den luftigen Grat. Der Fels ist fest und liegt gut in der Hand. Es gibt einen Klettersteig (A/B), wir sind aber am Seil von Hans und ersparen uns so das lästige Geratsche der Karabiner am Stahlseil. Das Vergnügen ist leider sehr kurz. Nach einer Stunde erreichen wir das Gipfelkreuz.
Da stehen wir jetzt, strahlen mit dem blauen Himmel um die Wette. Berge soweit das Auge reicht. Es geht hier auf 2996m kaum ein Wind – eine freundliche Einladung für eine ausgiebige Gipfelrast. Unter uns liegt Schladming und die Ramsau. Die Menschen, die sich von dort mit der Panoramagondel in 10 Minuten auf den Dachstein-Gletscher schießen lassen, sehen wie Ameisen aus, die wild im Schnee umherwuseln. Ein paar von ihnen werden ebenfalls den Gipfel erobern, denn es geht von beiden Seiten hinauf ins Gipfelglück. Wir nehmen den Ausblick tief in uns auf und sind dankbar, dass das Wetter bei unserer Planung mitgespielt hat. Keine Selbstverständlichkeit, wie uns Hans wissen lässt. Der Hohe Dachstein hat so seine Wetterlaunen. Schneller als wir oben waren, sind wir wieder unten und stapfen über den jetzt schon sehr weichen, sulzigen Schnee zurück zur Hütte. Die Sonne hat sich bereits gnadenlos in Stellung über uns gebracht. Da heißt es die Konzentration hochhalten, damit das Seil ordentlich Spannung hält. Man weiß ja nie, wann es einer Gletscherspalte einfällt ihren großen Schlund zu öffnen, um sich einen Bergsteiger zu holen.
Es ist halb drei als wir wieder auf der Hütte sind. In uns Berggefühl pur. Ein paar Stunden, Höhenmeter, Atemzüge, Felsberührungen, Aussichten und der Berg ist in uns und wir in ihm.
Trotz Entschleunigung ist die Zeit auf der Adamekhütte wie im Flug vergangen und wir stehen mit gepackten Rucksäcken vor der Hütte, verabschieden uns herzlich von Hans und seinem Team – ‚Baba bis zum nächsten Mal!". Das wir wiederkommen, daran zweifeln wir keine Sekunde. Heute allerdings wartet der Linzer Höhenweg auf uns. Ein alpiner Weg, der keine Wünsche offenlässt. Keine!
Es geht die ersten zwei Stunden über den vom Gletscher glatt geschrubbten Kalkstein. Die herzförmigen Muscheleinlagerungen lenken faszinierend von den Wegmarkierung ab und die sind wichtig, denn wir befinden uns in weglosem Gelände unterhalb des Hochkesselecks. Immer wieder gibt es seilversicherte Passagen, die den Weg bereichern. Zu diesen gesellen sich restliche Schneefelder, die der Juli Sonne erfolgreich getrotzt haben. Ohne Grödel und Steigeisen, aber mit Stöcken traversieren wir diese hochkonzentriert, denn ein Abrutschen wäre in diesem Gelände verheerend. Und noch eine andere Tücke hat der Weg für uns: beim Wechsel von einem der Schneefelder zum Felsen ist ein kleiner Graben zu überwinden. 1,30 Meter tief mit losem Schotter auf dem Grund. Das stellt zuallererst Andrea fest, als ihr die Stöcke wegrutschen und sie kopfüber halb unter der Schneedecke landet. Ihr blauer Bergschuh zeigt steil in den Himmel. Das sieht nicht gut aus. GsD kommen wir alle drei mit dem Schrecken davon. Kurz schießt uns durch den Kopf wie vor ein paar Wochen zwei Wanderer am Widderstein tödlich verunglückt sind, als sie in ein 6 Meter tiefes Schneeloch gestürzt sind, unter dem ein Gebirgsbach viel Wasser führte. Wir haben mehr Glück und freuen uns an einer ersten Rast, kurz bevor es über die Reissgang-Scharte (1994m) auf die Filzmooser-Seite des Gosaukamms geht. Hier warten weitere seilversicherte Passagen hinab in den Reißgangkessel. Wir ziehen die Helme auf, denn immer wieder lösen sich Steine. Einer davon auf Kopf oder Schulter wäre kein Vergnügen. Der Weg verlangt Konzentration und Trittsicherheit wie der gesamte Weg bislang. Dazu kommt die Länge – bis zur Hofpürgelhütte sind es locker je nach Verhältnissen 4-6 Stunden.
Am Rinderfeld angekommen begrüßt uns eine neue Welt - eine sanfte Almen-Landschaft. Die steilen Felswände thronen jetzt über uns und unsere Augen müssen sich erst wieder an das satte Grün von Latschen und Gras gewöhnen. Der Weg schleicht sich nun für eine Weile gemächlich dahin – das kann als Wellnesspfad durchgehen. Nach 5,5 Stunden erreichen wir die umtriebige und stark frequentierte Hofpürgelhütte, zischen ein Skiwasser, füllen die Akkus wieder auf und überlegen hin und her, ob wir weitergehen sollen. Reserviert haben wir für den Abend auf der Theodor-Körner Hütte. Das sind noch ca. 3 Stunden. Für den späten Nachmittag sind Gewitter angesagt. Das könnte noch klappen… tut es aber nicht! Die Hofpürgelhütte hat nicht den Charme, den wir uns für den letzten Abend in den Bergen wünschen und das hat bei der Entscheidung für das Weitergehen unter anderem eine Rolle gespielt. Dazu haben wir abgewogen, dass wir uns ja aus den Bergen wegbewegen und Blitz und Donner sich wohl lieber mit den hohen Felsen messen, als uns hinterher zu jagen. Pustekuchen. Nach knapp zwei Stunden fallen die ersten Tropfen. Die dunklen Wolken ziehen wie vermutet über dem Hohen Dachstein auf und der liegt weit hinter uns. Vor uns – und das kommt unerwartet (dafür gibt es einen Rüffel an unsere Tourenvorbereitung!) – liegt eine Scharte und auf der anderen Seite ein steiler und zu allem Übel, aber zu Recht seilversicherter Steig. Aus den Tropfen ist in der Zwischenzeit heftiger Regen mit Hageleinlagen geworden.
Das Tageslicht ist der Dämmerung gewichen, denn die dunklen Wolken haben ein Tempo an den Tag gelegt, als wenn der Teufel hinter ihnen her wäre. Tatsächlich ist er aber hinter uns her. Blitz und Donner folgen nun im Sekundentakt. Ein Stakkato-Wirbel direkt über uns. Ein Blick nach oben und für Millisekunden sehen wir die Elektroladungen den Himmel erleuchten. Keine von uns traut sich ins Stahlseil zu fassen. Wir halten Abstand, damit es für den Fall der Fälle nicht alle drei auf einmal erwischt. Mehr können wir jetzt nicht tun. Konzentriert weiterlaufen, aufpassen, nicht stürzen. Der Steig, so scheint es, dauert eine Ewigkeit und das Gewitter hat eine Kondition, die nicht den Anschein macht, es könnte bald vorbei sein und wir damit in Sicherheit. Wir sind triefend nass. Die Bergschuhe sind vollgelaufen und es macht überhaupt keinen Sinn dem wasserüberflutenden Weg auszuweichen. Wohin auch! Wasser oben, unten, links, rechts. Wir bleiben alle drei ruhig. Keine Panik. Sind konzentriert bei jedem Schritt. Eine Stunde dauert diese Tortour, bis wir die Theodor-Körner Hütte erreichen. Kurz zuvor kommt noch ein steiler und matschiger Anstieg und mitten in einem Wäldchen liegt die zauberhafte und rettende Hütte. Geschafft! Flo begrüßt uns herzlich. Wir tropfen ihm die Bude voll und ziehen uns erstmal in den Waschraum zurück. Dank den wasserfesten Packsäcken stehen wir kurz darauf – trocken gelegt bei ihm in der gemütlichen Hütte. Die nassen Klamotten und mit Zeitungspapier vollgestopfte Bergschuhe verteilen wir um den Kachelofen. Wie früher. Dieses kleine Hexenhäuschen hat keinen Trockenraum, dafür sehr viel Charme. Ein heißer Tee, eine Frittatensuppe, Spaghetti Bolognese und ein Zweigelt begleiten uns, als wir diese grandiose 9-Stunden-Tour mit allen Herausforderungen und Höhepunkten Revue passieren lassen. Was ein Tag!
Am nächsten Tag haben Regen und dunkle Wolken sich verzogen. Die Luft ist von einer Klarheit und Reinheit, dass wir die Lungen ganz tief damit füllen. Breaaaath. Zuhause leiden noch alle unter der Hitze und wir haben das Privileg, hier zu sein. Leider nur noch ein paar Stunden. Der Salzkammer Alpin Trail führt uns – immer noch anspruchsvoll zur Gablonzer Hütte. Dort steigen wir in die Gondel, die uns in wenigen Minuten die 1000 Meter hinab zum vorderen Gosau See bringt. Der Kreis schließt sich. Vier Tage durften wir die Dachstein-Salzkammergut Bergwelt in uns aufnehmen. Mit einmaligen Erlebnissen treten wir – alle drei gesund und Berg glücklich – den Heimweg an.
Auf ein Wiedersehen – Dachstein-Salzkammergut.